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Bindungsblog

für eine bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung

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Erziehung = Beziehung


Als mein Sohn wenige Monate alt war, kam in der Pause des Gottesdienstes einmal eine ältere Schwester auf mich zu. Ich hatte meinen Sohn – wie es zu dieser Zeit meistens der Fall war – in der Babytrage, er schlief. Da er ohne Körperkontakt – etwa im Kinderwagen – immer sofort wach wurde und zu schreien begann, bis ich ihn auf den Arm nahm, war die Lösung mit der Trage damals perfekt für mich. Die Schwester sah das kritisch: „Du kannst ihn doch nicht immer herumschleppen! Da gewöhnt er sich doch dran, du verwöhnst ihn ja! Willst du ihn mit zehn Jahren immer noch herumtragen??“ Zugegebenermaßen fühlte ich mich ob ihrer Ausführungen bevormundet und war verärgert. Wir hatten lange und auf vielerlei Weise versucht, unserem Sohn während des Gottesdienstes den Kinderwagen zum Schlafen oder eine Decke auf dem Boden zum Spielen schmackhaft zu machen, ohne Erfolg. Nur in der Trage oder auf meinem Schoß war er so zufrieden, dass ich vom Gottesdienst auch etwas mitbekam. Außerdem hatte ich mich deshalb auch viel zum Thema belesen und war zur Überzeugung gelangt, dass man Babys mit Körpernähe nicht verwöhnen kann.


Ja, das Thema Erziehung ist ein heikles, egal ob in der Gemeinde oder außerhalb. Schließlich ist praktisch jeder Experte auf diesem Gebiet: man hat selbst schon erzogen oder wurde zumindest erzogen. Darüber hinaus kann niemand seiner eigenen Erziehung entkommen. Sie macht aus, was wir sind, und viele setzen sich spätestens dann wieder mit ihr auseinander, wenn sie selbst Kinder bekommen.


Die jetzige junge Elterngeneration hinterfragt dabei – mehr als je zuvor – jahrzehntealte und lange weitergegebene Denk- und Handlungsweisen über Erziehung. Dies führt nicht selten zu Spannungen und Streit zwischen den Generationen – wie im obigen Beispiel. Denn diese neuen Ansichten führen bei der jetzigen Großelterngeneration nicht selten zu dem Gefühl, ihre Kinder würden mit ihrer teilweisen Abkehr von der tradierten Vorgehensweise ihnen zu verstehen geben, dass sie mit ihrer Erziehung falsch gelegen, Fehler gemacht und häufig auch „Schuld“ hätten an diversen Problemen der heutigen Elterngeneration. Umgekehrt fühlen junge Eltern sich manchmal bevormundet und unter Druck gesetzt, wenn sie von ihren Eltern oder von anderen aus der Generation ihrer Eltern Sätze zu hören bekommen wie „So etwas hätte es bei uns nicht gegeben!“.


Ich möchte keiner Seite einen Vorwurf machen, schließlich sind wir alle auch in gewissem Maß Kinder unserer Zeit. Meine Großeltern waren damit beschäftigt, im Krieg zu kämpfen und zu überleben; ihre Kinder, meine Eltern, wurden in der Nachkriegszeit zwar satt und lebten in Frieden, doch musste die starke Traumatisierung der Kriegsgeneration zwangsläufig auch bei ihnen ihre Spuren hinterlassen. Über den in der Psychologie bekannten Mechanismus der transgenerationalen Traumataweitergabe setzte sich dies fort – bis in die Gegenwart. Daher bringt es wenig, zu versuchen, einen „Schuldigen“ für was auch immer auszumachen, vielmehr hilft dieses Wissen, zu verstehen, warum verschiedene Generationen verschieden handeln und denken.


Als ich in der Schwangerschaft mit unserem ersten Kind begann, mich mit dem Themenkomplex „Erziehung“ noch einmal neu auseinanderzusetzen, war ich sehr erstaunt, wie sehr Ellen White eine Art der Erziehung vertritt, die im Einklang mit dem ist, was aktuelle Literatur darüber sagt. Im Folgenden möchte ich verdeutlichen, warum ein neuer Blick auf unsere Kinder und die Art, wie wir mit ihnen umgehen, im Sinne Gottes sind.


Die elterliche Autorität, oder: Bindung macht gehorsam

Der Schlüssel für diesen neuen Blick liegt dabei im Phänomen der Bindung. Das Streben nach Bindung, also das Verlangen danach, sich mit anderen verbunden zu fühlen und in Gemeinschaft zu sein, ist etwas, das jeder Mensch von Anfang an in sich trägt. Schon im Paradies sah Adam, dass alles „perfekt“ war, dennoch verlangte es ihn nach „Seinesgleichen“, jemanden, mit dem er das Leben teilen und verbunden sein konnte. Bindung ist sozusagen unser „Motor“ für Beziehung, ohne sie läuft nichts.


Vielleicht denkst du jetzt: Bindung schön und gut – aber das klingt alles etwas sehr nach Kuscheln und Laissez-faire…Was ist mit elterlicher Führung und dem Erlernen von Dingen wie Respekt oder Folgsamkeit? Sind die nicht vor allem wichtig? Und Ellen White sagt doch auch: „Gehorsam ist uns nicht in die Wiege gelegt, wir müssen ihn lernen – und zwar so früh wie möglich. Noch bevor es alt genug ist für vernünftige Argumente, kann ein Kind Gehorsam lernen[.]“


Ja, all diese Werte haben ihre Berechtigung! Sie werden nur auf andere Weise erreicht wie wir das gemeinhin meinen. Gordon Neufeld, ein kanadischer Entwicklungspsychologe, hat hierfür einen Begriff geprägt, den man wohl gut mit „fürsorgliche Autorität“ wiedergeben kann. Dieser bezeichnet Eltern, die souverän und liebevoll ihrem Kind den Weg ins Leben weisen. Das Kind nimmt von ihnen Vorschläge an, befolgt Anweisungen und respektiert die Werte der Eltern und das alles ohne Druck, Kampf oder Zwang (und auch ohne den Anreiz von Belohnungen). Wenn also Sätze fallen wie „Du tust, was ich sage!“ oder „Wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich ohne dich!“ oder „Wenn jetzt nicht aufräumst kannst du vergessen, dass ich dir heute Abend etwas vorlese!“ oder auch „Wenn du jetzt brav bist im Gottesdienst und nicht störst, machen wir heute Nachmittag einen schönen Ausflug zum Wildtiergehege.“ stimmt etwas nicht. Bevor ich nun darauf eingehe, wie die Bindung uns als Eltern zu fürsorglichen Autoritäten macht, die solche Sätze nicht nötig haben, möchte ich ein Zitat von Ellen White voranstellen, das sehr genau beschreibt, was die bindungsorientierte Art von Elternschaft nicht beinhaltet:


„Eine harte und strenge Erziehung ist genauso schlecht wie eine zu lasche und nachgiebige. Einer der schrecklichsten und folgenschwersten Fehler ist der, dass man meint, man müsse einem Kind ‚den Willen brechen‘. […] Mit Gewalt wird man nicht mehr als eine Scheinunterwerfung erreichen, die nur für einige Zeit verdeckt, dass derart gequälte Kinder innerlich nur um so rebellischer sind. Und wenn es wirklich gelingen sollte, ein Kind völlig zu beherrschen, ist das, was dabei herauskommt ein einziges Trauerspiel.“


Das Ziel von Erziehung ist es also nicht, aus dem Kind einen kleinen Soldaten zu machen, der sofort jedem Kommando von uns Eltern unwidersprochen Folge leistet. Kinder sind nicht unsere „Untertanen“, genauso wenig, wie Gott uns als seine Untertanen ansieht oder so behandelt. Kinder haben nicht die gleichen Rechte wie wir Eltern, sie sind also nicht gleichberechtigt, wohl aber – so benannte dies einst der dänische Familien-Therapeut Jesper Juul – gleichwürdig. Eine gleichwürdige Behandlung bildet die Basis für Liebe und Vertrauen, und aus diesem erwächst die Bindung – und somit auch die Bereitschaft der Kinder, die Führung der Eltern anzunehmen.


Die folgenden sieben Grundsätze zeigen nun, wie uns die Bindung zu Eltern macht, die ihre Kinder ohne Zwang und Druck ins Leben führen:


1. Bindung bringt Eltern und Kinder in eine hierarchische Ordnung

Dies ist bei Kindern von Anfang an von der Hirnstruktur vorgegeben; sie sind automatisch in Abhängigkeit und suchen nach Fürsorge. Kinder wollen folgen, sie ahmen uns nach und wollen es uns gleichtun, egal ob wir das Klo putzen oder uns für den Gottesdienst feierlich anziehen. Wir Eltern und Erwachsenen sind ihre Helden. „Mein Papa ist stärker als deiner!“ ist dabei ein Satz, den man wohl häufig aus dem Mund von 4-jährigen hört.

Gestört oder in falsche Bahnen gelenkt werden kann dieser Automatismus, wenn Kinder sich an Gleichaltrige binden und bei ihnen nach Fürsorge suchen (weil die Eltern oder andere Erwachsene als Bindungspersonen nicht zur Verfügung stehen) oder wenn die Eltern ihre unbefriedigten Bedürfnisse auf das Kind projizieren. Wenn das Kind zum „Partnerersatz“ wird und so den Platz eines Erwachsenen zugewiesen bekommt, dreht das die natürliche Hierarchie um – und ist einer gesunden psychischen Entwicklung des Kindes abträglich.


2. Bindung erweckt die Elterninstinkte

Bindung weckt im Kind einerseits die Bereitschaft, sich umsorgen zu lassen und gleichzeitig ruft sie Fürsorgeinstinkte bei Erwachsenen hervor. Kinder großzuziehen ist anstrengend, anfangs vor allem körperlich, aber auch immer emotional. Da Kinder im Prozess des Reif-Werdens durch ihre Unreife zwangsläufig ihre Eltern verletzen, haben sie ein Bindungsverhalten, das sehr anziehend auf Eltern wirkt, so dass diese die unabsichtlichen Verletzungen ertragen können. Augen, die uns anstrahlen, ein liebes Lächeln, ein Kind, das jubelnd auf uns zuläuft und sich in unsere Arme fallen lässt. All das wirkt ansteckend und löst in einem gesunden Erwachsenen Bindungsverhalten aus, was in einen positiven Kreislauf des Sorgens und Sich-Bindens mündet.


3. Bindung steuert die Aufmerksamkeit des Kindes

Bindung ist in der Welt des Kindes das Allerwichtigste, deshalb spielt sie bei der Steuerung seiner Aufmerksamkeit eine zentrale Rolle. Die Aufmerksamkeit folgt dabei der Bindung. Je stärker diese ist, umso einfacher kann die Aufmerksamkeit gewonnen werden. Es ist daher wichtig, dass wir, bevor wir an das Kind eine Bitte, Aufforderung oder Frage herantragen, „in Verbindung gehen“, damit wir die Aufmerksamkeit des Kindes haben, welches gerade vielleicht an sein Spiel oder eine Hörspiel-CD gebunden ist. Dies geschieht z.B. dadurch, dass wir uns auf Augenhöhe des Kindes begeben, es freundlich ansehen und es in liebevollem Ton ansprechen. Meine Kinder bitten mich dann oft noch um „zwei Minuten“, weil sie gerade mitten im Spiel sind oder eine angefangene Tätigkeit beenden wollen. Diese gewähre ich gerne, denn sie sind tatsächlich sehr verlässlich meist nach kurzer Zeit mit ihrer Beschäftigung fertig und willig, sich mir und meinem Anliegen zuzuwenden.


4. Bindung hält das Kind in der Nähe der Eltern

Wahrscheinlich kennen alle Eltern klammernde Kleinkinder, die immer, wirklich IMMER in der Nähe der Eltern sein möchten. Oftmals wird dies als störend empfunden, im Kindergarten wird dann oft gesagt, dass das Kind nun aber auch mal lernen müsse „loszulassen“. Was für eine verdrehte Sichtweise! Natürlich sind diese Jahre oft anstrengend. Und gleichzeitig erleichtert dieses Verhalten auch unseren Weg. Durch die enge Bindung, die das Kind zu uns sucht, können wir uns im Kleinkindalter darauf verlassen, dass das Kind uns instinktiv folgt (wie Gänsekinder ihrer Mutter). Später wird nicht mehr die körperliche, sondern die emotionale Nähe wichtiger. Und so werden auch unsere Teenager noch bei uns Eltern nach Nähe und Verbundenheit suchen, von sich erzählen und um Rat fragen, egal, ob es um Kummer mit der besten Freundin oder Probleme in der Schule geht.


5. Bindung macht Eltern zu Vorbildern

„Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.“ Dieses Zitat wird Karl Valentin zugeschrieben. Er hat Recht. Die Vorbildfunktion ist ein Aspekt der Bindungsdynamik. Durch das Nachahmen einer Bezugsperson bewahrt das Kind die psychische Nähe zu ihr. Und dabei lernt es; die Spiegelneuronen werden aktiviert und ohne, dass das Kind dies explizit beabsichtigt oder die Bezugsperson es forciert, lernt das Kind von ihr. Eines meiner Lieblingsbilder zeigt meinen Schwiegervater, wie er unseren Rasen mäht – und meine damals zweijährige Tochter, die neben ihm voller Begeisterung ihren Plastik-Spielrasenmäher schiebt. Der Automatismus des Nachahmens ist wichtig und erleichtert vieles, denken wir nur an den Spracherwerb.


6. Bindung macht die Eltern zu den wichtigsten Signalgebern

Daran schließt auch dieser Grundsatz an: Kinder suchen immer nach Hinweisen, wie sie sich verhalten und was sie tun sollen. Sorgen wir durch eine tiefe Bindung dafür, dass wir Eltern diese Impulsgeber sind! Denn wenn die Bindung zu den Eltern nicht besonders stark ist, wird das Kind oder der Jugendliche, seinen natürlichen Instinkten des Sich-Binden-Wollens folgend, andere Personen finden, an die es sich binden kann. Dabei greift es zwangsläufig oft auf Gleichaltrige zurück, die für seine Reifeentwicklung jedoch kaum hilfreich sind – eher im Gegenteil. Daher brauchen wir uns nicht wundern, wenn sich Jugendliche manchmal nichts mehr von Erwachsenen sagen lassen und einzig und allein die Meinung der Freunde zählt. Nur kommt man mit Strenge und Strafen an diesem Punkt nicht weiter – einzig die Stärkung der Bindung hilft.


7. Bindung bewirkt, dass Kinder es ihren Eltern Recht machen wollen

Eine gesunde und aktive Bindung weckt im Kind den Wunsch „gut“ sein zu wollen. Wenn wir ein Kind als „gut“ bezeichnen, meinen wir im Allgemeinen, dass dies eine angeborene Eigenschaft des Kindes ist und/oder es durch Erziehung (wie auch immer diese aussah) dorthin gebracht wurde. Wir sehen nicht, dass dieses „Gutsein“ durch die Bindung des Kindes zum Erwachsenen gefördert wird. Wenn wir glauben, die angeborene oder anerzogene Persönlichkeit des Kindes bewirke seinen Wunsch, alles richtig zu machen, stehen wir in der Gefahr, dass wir es, wenn dieser Wunsch fehlt, beschämen und als „schlecht“ ansehen werden. Der Impuls, es uns recht machen zu wollen, entspringt weniger dem Charakter des Kindes, als der Natur seiner Beziehung zu uns. Ist ein Kind „schlecht“, so müssen wir die Beziehung verbessern, nicht das Kind (s. Punkt 6).


Wenn die Bindung zwischen Eltern und Kind also tief und gefestigt ist, sollte es uns auch leichtfallen, unser Kind mit fürsorglicher Autorität zu lenken – und zwar ohne auf körperliche oder anders geartete Strafen, Drohungen und Bestechungen in Form von Belohnungen zurückgreifen zu müssen.


„Trotzphase“ und Pubertät – wenn der Gegenwille zuschlägt

Vielleicht fragst du dich jetzt, ob der von mir beschriebene Mechanismus wirklich funktioniert. Die Bindung zu deinem Kind ist nach deinem subjektiven Empfinden tief und tragfähig, dennoch gibt es dauernd Widerworte, sperrt sich gegen Bitten und Aufforderungen und/oder hat Wutanfälle, wenn etwas nicht so vonstattengeht, wie es sich das vorstellt. Dieses Verhalten beobachten Eltern sehr häufig in der im Volksmund als „Trotzphase“ bezeichneten Lebensabschnitt zwischen ca. 2-4 Jahren (ich bevorzuge die Bezeichnung Autonomiephase, denn das Streben nach Autonomie ist es, was dahintersteht) und dann vermehrt wieder ab dem Einsetzen der Pubertät.


Ursache hierfür ist nicht (oder ggfs. nicht nur) die fehlende oder nur teilweise vorhandene Bindung zwischen Kind und Elternteil, sondern der sogenannte Gegenwille. Die dem Gegenwillen zu Grunde liegende Dynamik ist nichts anderes als ein instinktiver Widerstand gegen (gefühlten) Zwang. Und dieser Widerstand äußert sich häufig in einem lauten „NEIN!“ vom Kind, auch schon bei so harmlosen Aussagen wie: „Lass uns ins Bad gehen, ich helfe dir beim Hände waschen.“ Normalerweise wird der Gegenwille durch die Bindung abgeschwächt oder entsteht erst gar nicht. Doch nicht nur Kinder, auch Erwachsene kennen dieses Phänomen: wenn wir beispielsweise verliebt sind, erscheint uns kaum eine Erwartung der geliebten Person unangemessen. Gegen Forderungen von jemandem, dem wir uns nicht verbunden fühlen, hingegen, werden wir uns viel eher sträuben.


Vielleicht hilft es dir, dich weniger über den Gegenwillen deines Kindes zu ärgern, wenn du um seinen Nutzen in der Autonomiephase weißt: einerseits wehrt er Einflüsse und Anweisungen ab, die von außerhalb des kindlichen Bindungskreises kommen. Er schützt das Kind so davor, sich von Fremden fehlleiten und zu etwas zwingen zu lassen (und daher sollten wir es auch als ganz normal und gesund betrachten, wenn sich unser Kleinkind nicht von einer fremden oder kaum bekannten „Tante“ etwas befehlen oder küssen lässt). Darüber hinaus fördert der Gegenwille das Wachstum des inneren Willens und der Autonomie. Das Kind ist anfangs völlig hilflos und abhängig von uns; im Prozess der Reifung zu einem eigenmotivierten und eigenständigen Menschen mit einem echten eigenen Willen ist die Autonomiephase daher unabdingbar:

„Der Gegenwille ist […] eine normale menschliche Dynamik, die alle Kinder haben, auch wenn die Bindung zu ihren Eltern gut ist. Für die meisten von ihnen wird der Gegenwille eine wiederkehrende, aber flüchtige Erfahrung bleiben und sich auf Situationen beschränken, in denen der Erwachsene mehr Druck einsetzt um das Kind zur Anpassung an seine Erwartungen zu bewegen, als die Bindung ihm in der konkreten Situation Macht verleiht. Solche Momente lassen sich für Eltern nicht immer vermeiden, aber weise Eltern werden intuitiv versuchen, sie zu beschränken und ihren Willen nur in solchen Situationen offen durchzusetzen, in denen die Umstände oder das Wohl des Kindes dies erfordern.“

Wir sehen also: es ist wichtig, unterscheiden zu lernen, ob mein Kind gerade im Gegenwillen gefangen ist, weil es sich zu einem unabhängigen, eigenständigen Menschen entwickelt, oder ob die Bindung zwischen mir und dem Kind beschädigt oder schwach ist. Je nachdem, zu welchem Ergebnis ich komme, werde ich unterschiedliche Maßnahmen ergreifen.


Liebe vs. Angst

Zum Schluss möchte ich gerne noch einen Blick auf die Motive werfen, aus denen heraus wir handeln. Wenn man nach dem Gegenteil von „Liebe“ fragt, kommt einem meist spontan „Hass“ in den Sinn. Das ist jedoch eigentlich die falsche Antwort. Das Gegenteil von Liebe ist Angst. Aus diesen beiden Grundemotionen entspringen weitere Gefühle wie Freude, Friede, Leichtigkeit, Geduld, Zufriedenheit, Vertrauen usw. für die Liebe und Scham, Sorge, Ablehnung, Panik, Hass, Eifersucht usw. für die Angst.


Wenn Menschen mit reiner Liebe in Berührung kommen, entstehen neue Nervenbahnen, Zellen regenerieren und Energie wird freigesetzt. In solch einem Zustand wird Reifung und Wachstum möglich. Wenn Menschen Angst empfinden, werden hingegen Zellen zerstört; Angst lähmt und macht krank. Menschen, die Hass oder Ablehnung gegenüber Gott spüren, haben meist ein falsches Gottesbild. Einem Gott, vor dem man sich fürchten muss, wenn man etwas Falsches getan hat, kann man nicht von Herzen lieben. Deshalb bringt es auch nichts, Menschen Angst vor der bösen Welt einzuflößen um sie für Gott zu gewinnen. Solch eine erzwungene „Bekehrung“ ist oft nur von kurzer Dauer und richtet meist großen Schaden an. Man kann in unserem Universum NICHTS wahrhaft Gutes mit Angst erreichen.


Ich möchte dich an dieser Stelle einladen, die Motive für dein erzieherisches Handeln genau zu beleuchten. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle unsere Kinder von Herzen lieben, aber ich glaube, es ist nicht die reine, unverfälschte Form der Liebe. Unsere Liebe ist durchsetzt mit kleineren oder größeren Anteilen von Angst: „Wenn das Kind mir jetzt nicht gehorcht, wird es immer ungehorsam bleiben.“, „Wenn der 4-jährige jetzt nicht teilen lernt, lernt er es nie und wird ein großer Egoist.“ oder „Was sollen denn bloß die Geschwister in der Gemeinde von uns als Eltern denken, wenn mein 3-jähriger einen Wutanfall im Foyer hat?“ In all diesen Beispielen spricht die Angst und sie bringt uns dazu, zu demütigen, zu strafen, zu drohen, zu zwingen oder zu bestechen. Keines dieser Mittel hat Jesus je benutzt um Menschen unter seinen Einfluss zu bringen. Sein Mittel der Wahl war und ist die Liebe und diese Liebe hat die Menschen grundlegend transformiert. In 1. Johannes 4,18 heißt es: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat mit Strafe zu tun; wer sich nun fürchtet, ist nicht vollkommen geworden in der Liebe.“

Es wird wohl niemandem gelingen, nie aus Angst, Ärger oder Scham heraus zu erziehen und zu jeder Zeit eine tiefe Bindung zum Kind zu haben. Zumindest kenne ich solche Eltern nicht. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass das Investieren in die Bindung sich lohnt – und mein Dasein als Mama um viele Kämpfe und Anstrengungen erleichtert.


Ich wünsche uns allen, dass wir lernen, unsere Kinder mit den Augen der Liebe, den Augen Jesu, zu sehen. Möge die von Gott gegebene Kraft der Bindung uns dabei auf rechte Weise helfen. An das Ende dieses Artikels möchte ich passend dazu mein Lieblingszitat von Ellen White stellen:

„Nur Liebe erzeugt Gegenliebe.“
 



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